Zeit für große Gesellschaftspolitik
Soll sich nach den Terrorangriffen von Paris nun alles ändern? Nein, sagt SPD-Parteichef Sigmar Gabriel. Denn „dann hätten die Terroristen ihren ersten großen Erfolg zu feiern.“ Offene und freie Gesellschaften seien verletzlich, räumte Gabriel ein – „und trotzdem sind sie am Ende stärker als jeder Terror, jede Diktatur und jede Gewalt.“
Die menschenverachtende Gewalt des sogenannten Islamischen Staates am vergangenen Freitag richtete sich nicht allein gegen die Menschen in Frankreich und Paris, sondern im Kern gegen die Idee von Freiheit und Selbstbestimmtheit eines Lebens. Dieser Terrorakt galt allen Mensch, die diese Freiheit leben und hinter dieser Idee des Zusammenlebens stehen. „Deswegen ist es auch die Aufgabe, die wir miteinander haben, unser Leben und diese Ideen zu verteidigen“, betonte der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel am Montag.
Vor Angst zu erstarren und unsere Weltoffenheit infrage zu stellen, wäre fatal: „Wenn nach Paris alles anders wäre, dann hätten die Terroristen ihren ersten großen Erfolg zu feiern“, ist sich Gabriel sicher. Das friedliche Miteinander verschiedener Kulturen und unterschiedlicher Lebensvorstellungen in Deutschland und in ein Europa sei eine große Errungenschaft: „Wir wollen an unserer Art des Zusammenlebens nichts ändern“, so Gabriel.
„Stärker als jeder Terror, jede Diktatur“
Die Anschläge von Paris werden politische Konsequenzen haben: stärkere Grenzkontrollen und weitere Maßnahmen, um die Sicherheit der Menschen in unserem Land zu schützen. „Aber wir wissen zugleich“, ergänzte Gabriel: „Offene Gesellschaften sind verletzlich – und trotzdem sind offene und freie Gesellschaften am Ende stärker, als jeder Terror, jede Diktatur und jede Gewalt.“
In seiner Einschätzung beruft sich Gabriel auf die über 150-jährige Geschichte der SPD. Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten hätten immer schon Gewalt, Terror und Angriffe auf die Meinungsfreiheit erleben müssen. Am Ende habe sich die Idee von Freiheit und Menschenrechte durchsetzt.
Gemeinsames Ziel: Bürgerkrieg in Syrien beenden
Vor überstürzten Debatten über Krieg warnte der SPD-Chef: „Ja, der IS führt Krieg und es wird Zeit, dass sich die internationale Staatengemeinschaft gemeinschaftlich und nicht gespalten entgegentritt. Aber es ist unnötig, über eine militärische Beteiligung Deutschlands zu spekulieren, denn nichts davon wird von unseren französischen Freunden erwartet.“
Die SPD mit Außenminister Steinmeier setze vor allem auf Diplomatie, um den Bürgerkrieg in Syrien zu beenden. „Denn wir haben erlebt, dass das Bombenwerfen und die Lieferung von Waffen allein den Krieg nicht stoppt - und auch den IS nicht stoppt“, so der SPD-Chef. Viel mehr verspricht er sich von den Fortschritten in Wien am vergangenen Freitag, als es zum zweiten Mal gelungen war, Frankreich, Deutschland, Europa, USA, Russland, den Iran und Saudi Arabien an Verhandlungstisch zu bewegen. Das gemeinsame Ziel lautet: den Bürgerkrieg in Syrien zu beenden, um dann gemeinschaftlich gegen den IS vorzugehen. „Zuerst müssen wir die Stellvertreterkriege zwischen Sunniten und Schiiten, zwischen Saudi Arabien und dem Iran in Syrien beenden“, so Gabriel.
„Wir dürfen Opfer nicht zu Tätern machen“
Was in Deutschland nun nicht passieren dürfe, so die Mahnung des Vizekanzlers, dass die Opfer dieses Krieges, die aus Syrien zu uns nach Deutschland fliehen, auf einmal zu Tätern erklärt würden. „Die Opfer in Paris verbindet mit den Flüchtlingen in unserem Land, dass beide Opfer des IS sind“, machte Gabriel deutlich und mahnte: „Man darf die Opfer aus Paris nicht für eine innenpolitische Debatte in Deutschland missbrauchen.“
An der Grundausrichtung der deutschen Flüchtlingspolitik soll sich nach Ansicht der SPD nichts ändern. Es soll bei einer Politik bleiben, die alles dafür tut, um die europäischen Außengrenzen sicherer zu machen, „um dann auch im neuen Jahr einen Neustart in der Flüchtlingspolitik zu schaffen, nämlich statt einer chaotischer Zuwanderung, eine organisierte Zuwanderung – über Kontingente, sicher, ohne Schlepper. So dass niemand, der nach Europa und nach Deutschland will, auf dem Weg dahin sein Leben gefährden muss.“ Parallel müssten die Lebensbedingungen in den Flüchtlingslagern in Jordanien, im Libanon und in der Türkei deutlich besser werden.
Politik für alle
Die Flüchtlingsdebatte steht seit geraumer Zeit im Zentrum fast aller Diskussionen. Doch Gabriel machte am Montag noch einmal deutlich, dass die Bundesregierung sich nicht nur um Flüchtlinge, sondern um alle kümmern werde, „um alle, die derzeit nach bezahlbarem Wohnraum suchen oder auch um alle die derzeit zu lange arbeitslos sind.“ Es müssten ausreichend Plätze in Kindertagesstätten und Schulen geschaffen werden. „Es ist die Zeit zu zeigen, dass wir zu großer Gesellschaftspolitik in Deutschland fähig sind, um unser Land zusammenzuhalten“, forderte der SPD-Vorsitzende. Auch deshalb müsse jetzt die Überschrift über allem lauten: „Durch Paris darf sich nichts am Zusammenleben und an der Haltung unseres Landes ändern.“